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UFO - UNKNOWN FUNCTIONAL OBJECT
Barbara Grotkamp-Schepers
Eine Schere als Ausgangspunkt für eine
umfangreiche künstlerische Werkreihe - das liegt nicht unbedingt
auf der Hand, lag jedoch als Anlass für eine Ausstellung im
Deutschen Klingenmuseum Solingen nahe. Und mit einer solchen Platzierung
von Kunst in einem Ort der (schneidenden Spezial-) Dinge rührt
man - quasi in umgekehrter Blickrichtung - an einen wichtigen Arbeitsansatz
von Annette Wimmershoff.
Bei all ihren vielfältigen Zyklen steht
am Anfang ein simples Alltagsgerät, vorzugsweise klein dimensioniert,
häufig aus Metall und stets rätselhaft in seiner Funktion,
sei es weil seine Nützlichkeit "unmodern" und heute
nicht mehr gefragt ist, sei es weil das Ding aus einem uns fremden
Kulturkreis stammt (wie z.B. der Unagitarekake, vgl. den Beitrag
von Gabriele Uelsberg). So wird, wenn die Künstlerin ihre -
in der fertigen Werkreihe nicht mehr in Erscheinung tretenden -
Studienobjekte im Atelier vorführt, die Betrachtung schnell
zu einer Rätselstunde. Die anfangs erwähnte Schere, ein
Stück aus dem Bestand des Klingenmuseums mit der Inventarnummer
42.332, fand sofort die Aufmerksamkeit Annette Wimmershoffs, vor
allem weil ihre Funktion, trotz zahlreicher Grübeleien der
Spezialisten, nach wie vor unbekannt ist. Dabei interessiert sie
nicht die Lösung des funktionalen Geheimnisses, sondern das
komplizierte, in sich schlüssige und dennoch für den Nicht-Eingeweihten
sinnlose Formgefüge.
Im Bekannten taucht das Fremde auf und verursacht,
trotz seiner Banalität, mit magischer Anziehungskraft die Lust
an der künstlerischen Formuntersuchung. Ober diese Lust an
der bildnerischen Analyse, die manchmal für ein Objekt Hunderte
von Arbeiten (Skizzen, Zeichnungen, Drucke, Collagen, plastische
Werke) hervorbringt, soll im Folgenden gesprochen werden.
Die kleinen Bücher
Annette Wimmershoff beginnt, sobald ein neues
Untersuchungsobjekt gefunden ist, mit Skizzen und Zeichnungen. Sie
nähert sich geduldig und systematisch dem Gegenstand, indem
sie ihn von allen Seiten, aus unterschiedlichen Perspektiven, mit
Bewegungssequenzen, mit Überschneidungen und Überlagerungen
zeichnet. Der plastische Körper wird auf die Fläche übertragen,
der Verlust einer Dimension wird ausgeglichen durch immer neue Schichten
und Aspekte der zeichnerischen Darstellung, wobei der Künstlerin
der zeitgleiche Zugriff auf das Ding, seine haptische Erfahrung
wichtig ist. Es entstehen veritable Untersuchungsreihen, die sich
der Wahrnehmung des Gegenstandes widmen, indem sie sich seine Form
- sie zeichnend nachspürend - aneignen. Dabei geht es nicht
darum zu verstehen, wie das Ding funktioniert bzw. benutzt wird,
sondern um sein Formgefüge.
Dieser Prozess braucht Zeit, immer wieder neue
Tage und frische Blicke. Er findet statt in kleinen gebundenen Blankobüchern,
pro Objektzyklus eines oder auch mehrere, die wie ein optisches
Tagebuch das Fortschreiten der Wahrnehmung festhalten.
"Das Wichtigste sind die kleinen Bücher."
Festigen
Der Phase des Zeichnens folgt, aber erst nachdem
sie abgeschlossen ist, diejenige des Druckens: Radierungen, Kaltnadel,
Aquatinta, Farbdrucke. Das analytische, "kubistische"
Zeichnen, das die Sicht auf den Gegenstand extrem auffächert
und variiert, weicht dem mehr auf Festigung und Klärung der
Form ausgerichteten Prozess des Druckens. Die zweidimensionalen
Ansichten erhalten durch die Festlegung auf der Druckplatte eine
stärkere Verbindlichkeit, gewinnen jedoch im nächsten
Schritt, durch die unendlich vielen Möglichkeiten des Druckens,
der Wiederholungen und Zusammendrucke gleicher oder unterschiedlicher
Motive, eine immense Variabilität.
Ein ähnlicher bildnerischer Vorgang spielt
sich bei der Entstehung von Collagen ab. Wimmershoff wechselt das
Medium, aber nicht wesentlich die Methode: Sie setzt das Sezieren
fort und bringt anschließend die Schnittstücke in immer
wieder neuen Kombinationen zusammen. Dieser Prozess des Zertrümmerns
und Aufbauens dauert recht lange und wird möglichst pro Bildzyklus
in einem Zug bearbeitet. Nur selten, und dann meist durch äußere
Notwendigkeiten bedingt, beschäftigt sich Annette Wimmershoff
mit mehreren parallelen Serien, Sie beschreibt ihre Arbeit als einen
tatsächlichen Kampf mit dem Ding, das sich nicht selten der
Künstlerin entzieht, indem es sein schlichtes Ding-Sein nicht
ohne Widerstand künstlerisch aufbrechen lässt. Die große
Zahl der immer wieder veränderten und variierten Blätter
kündet von dieser Auseinandersetzung.
Befreien
Wenn Bücher mit Zeichnungen, wenn Mappen
mit Drucken und Collagen gefüllt sind, begibt sich die Künstlerin
auf die nächste Ebene. Die aufwändige Phase der akribischen
Analyse des Gegenstandes auf dem Feld der Zweidimensionalität
wird abgelöst durch die Arbeit mit und in der dritten Dimension.
Allerdings erhält der ursprüngliche
Gegenstand nicht etwa seine Plastizität zurück (das Ding
selber, seine Bedeutung und Nutzung sind längst obsolet geworden),
es entstehen eigenständige "selbstbewusste" Wand-
und freistehende Skulpturen. In ihnen sind die Aspekte, Teilergebnisse,Ansichten,
Frakturen, Perspektiven der vorhergegangenen Phasen eingeflossen,
so dass man das Ursprungsding, sofern man davon weiß, manchmal
wiedererkennt, Aber nur manchmal, wie bei der Schere Inv.Nr. 42.332"
zum Beispiel das doppelte Scharnier und das charakteristische Dreieck
der Scherenblätter oder beim "Ringschneider" die
Griffform und die kreisförmige Schneidescheibe. Eigentlich
jedoch, der Intention der Künstlerin entsprechend, stehen die
plastischen Arbeiten für sich, ohne Rückbezug auf das
"Ding des Anstoßes", und bieten auch keine inhaltlichen
Anhaltspunkte mehr. Nur die Titel legen eine Spur zurück zum
Beginn des langen bildnerischen Weges, ohne die rätselhafte
Verbindung von Kunstwerk und Bezeichnung lösen zu wollen.
In der Regel zeigt Annette Wimmershoff bei der
Präsentation ihrer Werkzyklen nicht auch das Objekt ihrer Untersuchungen,
es hat nach der Vollendung einer Serie seine Schuldigkeit getan.
Wenn nun zur Ausstellung im Deutschen Klingenmuseum eine Ausnahme
gemacht und die Gegenstände wie Schere, Verkorker oder Tee-Rührbesen
einbezogen werden, so ist dies dem besonderen Ort mit seinen Sammlungen
kunsthandwerklicher (nützlicher) Geräte zu verdanken.
Aus Dingen, deren Form nach funktionalen Notwendigkeiten gebildet
ist, entstanden freie, luftige Raumobjekte, die ihre Herkunft zwar
nicht verleugnen, aber sie keinesfalls dem Betrachter aufdrängen.
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