Kurzbiographie

geboren 1947 in Recklinghausen
   
1964-68 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf
bei Prof. Rolf Sackenheim und Prof. Karl-Otto Götz
   
  seit 1988 mehrfach Gastatelier in Ein Hod, Israel, Internationales Künsteraustauschprogramm der Landeshauptstadt Düsseldorf
  seit 1992 mehrfach Atelier in der Cité Internationale des Arts, Paris
  1994 Art-Ex, Artist in residence, Osaka, Japan
  1999 ARAG Kunstpreis
  2000 Artist in residence, Mino, Präfektur Gifu, Japan
  2005 Auszeichnung 8. Biennale Kleinplastik Hilden
   
  lebt und arbeitet in Düsseldorf und Cucuron, Vaucluse Frankreich
 


 

  UFO - UNKNOWN FUNCTIONAL OBJECT
Barbara Grotkamp-Schepers

Eine Schere als Ausgangspunkt für eine umfangreiche künstlerische Werkreihe - das liegt nicht unbedingt auf der Hand, lag jedoch als Anlass für eine Ausstellung im Deutschen Klingenmuseum Solingen nahe. Und mit einer solchen Platzierung von Kunst in einem Ort der (schneidenden Spezial-) Dinge rührt man - quasi in umgekehrter Blickrichtung - an einen wichtigen Arbeitsansatz von Annette Wimmershoff.

Bei all ihren vielfältigen Zyklen steht am Anfang ein simples Alltagsgerät, vorzugsweise klein dimensioniert, häufig aus Metall und stets rätselhaft in seiner Funktion, sei es weil seine Nützlichkeit "unmodern" und heute nicht mehr gefragt ist, sei es weil das Ding aus einem uns fremden Kulturkreis stammt (wie z.B. der Unagitarekake, vgl. den Beitrag von Gabriele Uelsberg). So wird, wenn die Künstlerin ihre - in der fertigen Werkreihe nicht mehr in Erscheinung tretenden - Studienobjekte im Atelier vorführt, die Betrachtung schnell zu einer Rätselstunde. Die anfangs erwähnte Schere, ein Stück aus dem Bestand des Klingenmuseums mit der Inventarnummer 42.332, fand sofort die Aufmerksamkeit Annette Wimmershoffs, vor allem weil ihre Funktion, trotz zahlreicher Grübeleien der Spezialisten, nach wie vor unbekannt ist. Dabei interessiert sie nicht die Lösung des funktionalen Geheimnisses, sondern das komplizierte, in sich schlüssige und dennoch für den Nicht-Eingeweihten sinnlose Formgefüge.

Im Bekannten taucht das Fremde auf und verursacht, trotz seiner Banalität, mit magischer Anziehungskraft die Lust an der künstlerischen Formuntersuchung. Ober diese Lust an der bildnerischen Analyse, die manchmal für ein Objekt Hunderte von Arbeiten (Skizzen, Zeichnungen, Drucke, Collagen, plastische Werke) hervorbringt, soll im Folgenden gesprochen werden.

Die kleinen Bücher

Annette Wimmershoff beginnt, sobald ein neues Untersuchungsobjekt gefunden ist, mit Skizzen und Zeichnungen. Sie nähert sich geduldig und systematisch dem Gegenstand, indem sie ihn von allen Seiten, aus unterschiedlichen Perspektiven, mit Bewegungssequenzen, mit Überschneidungen und Überlagerungen zeichnet. Der plastische Körper wird auf die Fläche übertragen, der Verlust einer Dimension wird ausgeglichen durch immer neue Schichten und Aspekte der zeichnerischen Darstellung, wobei der Künstlerin der zeitgleiche Zugriff auf das Ding, seine haptische Erfahrung wichtig ist. Es entstehen veritable Untersuchungsreihen, die sich der Wahrnehmung des Gegenstandes widmen, indem sie sich seine Form - sie zeichnend nachspürend - aneignen. Dabei geht es nicht darum zu verstehen, wie das Ding funktioniert bzw. benutzt wird, sondern um sein Formgefüge.

Dieser Prozess braucht Zeit, immer wieder neue Tage und frische Blicke. Er findet statt in kleinen gebundenen Blankobüchern, pro Objektzyklus eines oder auch mehrere, die wie ein optisches Tagebuch das Fortschreiten der Wahrnehmung festhalten.

"Das Wichtigste sind die kleinen Bücher."

Festigen

Der Phase des Zeichnens folgt, aber erst nachdem sie abgeschlossen ist, diejenige des Druckens: Radierungen, Kaltnadel, Aquatinta, Farbdrucke. Das analytische, "kubistische" Zeichnen, das die Sicht auf den Gegenstand extrem auffächert und variiert, weicht dem mehr auf Festigung und Klärung der Form ausgerichteten Prozess des Druckens. Die zweidimensionalen Ansichten erhalten durch die Festlegung auf der Druckplatte eine stärkere Verbindlichkeit, gewinnen jedoch im nächsten Schritt, durch die unendlich vielen Möglichkeiten des Druckens, der Wiederholungen und Zusammendrucke gleicher oder unterschiedlicher Motive, eine immense Variabilität.

Ein ähnlicher bildnerischer Vorgang spielt sich bei der Entstehung von Collagen ab. Wimmershoff wechselt das Medium, aber nicht wesentlich die Methode: Sie setzt das Sezieren fort und bringt anschließend die Schnittstücke in immer wieder neuen Kombinationen zusammen. Dieser Prozess des Zertrümmerns und Aufbauens dauert recht lange und wird möglichst pro Bildzyklus in einem Zug bearbeitet. Nur selten, und dann meist durch äußere Notwendigkeiten bedingt, beschäftigt sich Annette Wimmershoff mit mehreren parallelen Serien, Sie beschreibt ihre Arbeit als einen tatsächlichen Kampf mit dem Ding, das sich nicht selten der Künstlerin entzieht, indem es sein schlichtes Ding-Sein nicht ohne Widerstand künstlerisch aufbrechen lässt. Die große Zahl der immer wieder veränderten und variierten Blätter kündet von dieser Auseinandersetzung.

Befreien

Wenn Bücher mit Zeichnungen, wenn Mappen mit Drucken und Collagen gefüllt sind, begibt sich die Künstlerin auf die nächste Ebene. Die aufwändige Phase der akribischen Analyse des Gegenstandes auf dem Feld der Zweidimensionalität wird abgelöst durch die Arbeit mit und in der dritten Dimension.

Allerdings erhält der ursprüngliche Gegenstand nicht etwa seine Plastizität zurück (das Ding selber, seine Bedeutung und Nutzung sind längst obsolet geworden), es entstehen eigenständige "selbstbewusste" Wand- und freistehende Skulpturen. In ihnen sind die Aspekte, Teilergebnisse,Ansichten, Frakturen, Perspektiven der vorhergegangenen Phasen eingeflossen, so dass man das Ursprungsding, sofern man davon weiß, manchmal wiedererkennt, Aber nur manchmal, wie bei der Schere Inv.Nr. 42.332" zum Beispiel das doppelte Scharnier und das charakteristische Dreieck der Scherenblätter oder beim "Ringschneider" die Griffform und die kreisförmige Schneidescheibe. Eigentlich jedoch, der Intention der Künstlerin entsprechend, stehen die plastischen Arbeiten für sich, ohne Rückbezug auf das "Ding des Anstoßes", und bieten auch keine inhaltlichen Anhaltspunkte mehr. Nur die Titel legen eine Spur zurück zum Beginn des langen bildnerischen Weges, ohne die rätselhafte Verbindung von Kunstwerk und Bezeichnung lösen zu wollen.

In der Regel zeigt Annette Wimmershoff bei der Präsentation ihrer Werkzyklen nicht auch das Objekt ihrer Untersuchungen, es hat nach der Vollendung einer Serie seine Schuldigkeit getan. Wenn nun zur Ausstellung im Deutschen Klingenmuseum eine Ausnahme gemacht und die Gegenstände wie Schere, Verkorker oder Tee-Rührbesen einbezogen werden, so ist dies dem besonderen Ort mit seinen Sammlungen kunsthandwerklicher (nützlicher) Geräte zu verdanken. Aus Dingen, deren Form nach funktionalen Notwendigkeiten gebildet ist, entstanden freie, luftige Raumobjekte, die ihre Herkunft zwar nicht verleugnen, aber sie keinesfalls dem Betrachter aufdrängen.